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Wenn die Chemo auf die Nerven geht

Was ist eine Polyneuropathie/eine Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie?

Eine Neuropathie ist eine Schädigung der peripheren Nerven, das sind Nerven außerhalb des Zentralnervensystems, also außerhalb von Gehirn und Rückenmark. Die Nerven in den Händen und Füßen, um die es in diesem Text gehen wird, gehören zu den peripheren Nerven. PNP (Polyneuropathie oder auch Periphere Polyneuropathie) bedeutet, dass mehrere periphere Nerven betroffen sind.

Es gibt hunderte von Ursachen, die eine PNP hervorrufen können. Auslöser können beispielsweise Diabetis oder Alkoholsucht sein, aber auch Tumoren, die auf Nerven drücken und sehr viel Anderes mehr.

Auch bestimmte Zytostatika können PNP hervorrufen, man spricht dann von einer CIN (Chemotherapie-induzierte Neuropathie) oder auch CIPN (Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie).

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit der CIPN, die typischerweise von taxanhaltigen Chemotherapeutika (z.B. Paclitaxel, Docetaxel) hervorgerufen werden kann. Die Schädigung der Nerven beginnt bei diesen Chemotherapeutika meist in den Zehen und Fußsohlen, nicht ganz so oft in den Fingerspitzen. Wenn diese CIPN fortschreitet, können sich die Beschwerden bis zu den Fußknöcheln bzw bis zu den Handgelenken ausdehnen.

Die Symptome sind vielfältig

Wie sich eine Polyneuropathie äußert hängt davon ab welche Nerven geschädigt wurden.

Sind Nerven betroffen, die für Empfindungen zuständig sind (sensible Nerven) können beispielsweise folgende Symptome auftreten

  • Brennen
  • Kribbeln
  • Taubheitsgefühl (Druck oder Berührung werden nicht richtig wahrgenommen)
  • „Pelziges“ Gefühl, Laufen „wie auf Watte“
  • gestörtes Schmerzempfinden (selbst leichte Berührung kann schmerzen oder aber man nimmt Schmerzen kaum mehr wahr)
  • gestörtes Kalt- / Warmempfinden (Kälte und Wärme wird verstärkt oder verringert wahrgenommen)

Sind Nerven betroffen, die für Muskelsteuerung zuständig sind (motorische Nerven) können beispielsweise folgende Symptome auftreten

  • Muskelkrämpfe
  • Motorische Ausfälle
  • Muskelschwäche
  • Unwillkürliche Muskelbewegungen (Zuckungen)

CIPN kann den Alltag erheblich erschweren

Die oben beschriebenen Symptome können zu verschiedensten, teilweise sehr belastenden Alltagsproblemen führen.

  • So kann die Taubheit in den Händen beispielsweise Schwierigkeiten beim Zuknöpfen einer Bluse, beim Schreiben mit der Hand oder beim Spielen eines Musikinstrumentes bereiten.
  • Wenn Zehen und Füße gefühllos sind oder sich pelzig anfühlen, kann das zu Gangunsicherheiten und Stürzen führen.
  • Probleme beim Greifen oder Gehen sind mögliche Auswirkungen einer neuropathiebedingte Muskelschwäche.
  • Ein eingeschränktes Wärmeempfinden kann zu Verbrühungen beispielsweise bei zu heißen Bädern führen.
  • Schmerzempfindungen aller Art können die Lebensqualität von Betroffenen ebenfalls sehr beeinträchtigen.

All das verdeutlicht wie wichtig es ist einer CIPN möglichst frühzeitig entgegenzutreten, damit die damit verbundenen Symptome so gering wie möglich gehalten werden.

Die gute Nachricht – Vorbeugen ist zumindest teilweise möglich!

Sie benötigen eine taxanhaltige Chemotherapie? Dann sollten Sie Folgendes wissen:

Eine ebenso einfache wie effektive Möglichkeit CIPN vorzubeugen oder diese zumindest gering zu halten, ist die Kühlung von Händen und Füßen einige Zeit vor, während und nach der taxanhaltigen Infusionsgabe. Üblicherweise erfolgt diese Kühlung mit speziellen Kühlsocken und Kühlhandschuhen, die Ihnen in der Praxis oder Klinik zur Verfügung gestellt werden können. Falls nicht, können Sie diese auch selbst kaufen und zur Chemotherapie mitbringen. Die Kälte bewirkt, dass sich die Blutgefäße zusammenziehen und somit eine viel kleinere Menge der Taxane in Zehen und Finger gelangt. Entsprechend geringer fallen dann auch die möglichen CIPN aus.

Verfeinert wird diese Methode mit einem eigens hierfür konzipierten Kühlgerät (Hilotherapie).

Wichtig: Sollten Sie keine Kühlmöglichkeit für Hände und Füße angeboten bekommen, fragen Sie unbedingt nach! Kühlung bietet Ihnen Schutz vor dieser gravierenden und zumindest teilweise vermeidbaren Langzeitfolge der Chemotherapie.

Auch durch das Tragen von Kompressionsstrümpfen - / Handschuhen werden die Gefäße verengt und es gelangt weniger Chemotherapeutikum in Hände und Füße. Der Effekt dürfte also ähnlich wie durch Kühlung sein.

Frühzeitig Gegensteuern!

Die CIPN ist leider eine sehr häufige Nebenwirkung von taxanhaltigen Zytostatika, die betroffene Patientinnen oft über Wochen und Monate, manchmal auch für immer belasten kann. Man schätzt dass ca 20%–50% der PatientInnen, die eine taxanhaltige Chemotherapie erhalten, Polyneuropathien entwickeln, die so stark ausgeprägt sind, dass sie im Alltag zu Beeinträchtigungen führen. 

Die Nervenschädigungen entstehen dabei teilweise erst zeitverzögert, also einige Zeit nach den jeweiligen Chemotherapiegaben. Deshalb ist es äußerst wichtig Ihren Onkologen / Ihre Onkologin auf etwaige neuropathische Symptome frühzeitig hinzuweisen, also auch wenn diese von Ihnen noch nicht als allzu gravierend empfunden werden.

Ihr Arzt / Ihre Ärztin wird dann mit Ihnen beraten, was für Sie die optimale Vorgehensweise ist. Dabei ist abzuwägen, wie stark der mögliche Schaden im Verhältnis zum Nutzen der taxanhaltigen Chemotherapie ist. Wird ein allzu großer Schaden befürchtet, kann man darauf beispielsweise mit folgenden Maßnahmen reagieren:

  • Dosisreduktion der taxanhaltigen Zytostatika
  • Verlängerung des Therapieintervalls
  • Umstieg auf ein anderes Zytostatika
  • Verkürzung der Therapiezyklen

Wichtig ist hierbei nicht nur die neurologische Schädigung als solche zu betrachten, sondern auch wie sich diese ganz konkret in Ihrem Leben auswirkt. Denken Sie beispielsweise an eine Violinistin, für die eine bleibende Taubheit in den Fingerspitzen das „berufliche Aus“ bedeuten würde. Für eine andere Patientin, könnte dieses Risiko hingegen im Hinblick auf ihre verbesserten Heilungschancen tolerabel sein.

Lichtblick: Im Laufe der Zeit regenerieren sich die geschädigten Nerven teilweise wieder und das Beschwerdebild verbessert sich allmählich. Allerdings ist hier Geduld gefragt und die CIPN bildet sich häufig auch nicht mehr ganz zurück.

Behandlungsmöglichkeiten

Die Behandlung einer CIPN richtet sich nach dem Beschwerdebild.

Medikamentöse Behandlung

Gegen neuropathische Schmerzen werden bestimmte Antidepressiva oder Antikonvulsiva (das sind Epilepsie-Medikamente) eingesetzt. Auch Cremes oder Wirkstoffpflaster mit Capsaicin oder Lidocain sind Mittel der ersten Wahl. Bei starken Schmerzen kann auf Opioide ausgewichen werden.

Gut zu wissen: Gängige Schmerzmittel wie beispielsweise Ibuprofen, Paracetamol oder Metamizol zeigen bei neuropathischen Schmerzen nur begrenzt Wirkung.

Für andere CIPN Symptome, wie beispielsweise Taubheitsgefühl, Muskelschwäche etc. stehen bislang leider keine Medikamente Verfügung. Linderung kann bei diesen Sympthomen mit nachstehende Therapien erreicht werden.

Ergotherapie

Die Ergotherapie soll dabei unterstützen neurologische Funktions- und Empfindungsstörungen wie z.B. Muskelschwäche und Taubheitsgefühle zu verbessern, beziehungsweise dabei helfen mit diesen im Alltag besser zurecht zu kommen.

Sie umfasst beispielsweise

  • Sensibilitätstraining (z.B. Anregung von Sinnesreizen durch Fußrollen oder Igelbällen; Gehen in einer mit Erbsen gefüllten Wanne)
  • Förderung der Körperwahrnehmung
  • Muskel und Kraftübungen (z.B. Greifübungen, Schreibübungen)
  • Erlernen geeigneter Bewegungsmuster

Physiotherapie

Mit einer Physiotherapie wird versucht Muskeln zu stärken und funktionelle Defizite, wie beispielsweise Gangunsicherheiten zu verbessern. Mit geeigneten Übungen werden Gleichgewicht und Koordination geschult und die Muskelkraft erhöht.

Akupunktur

Bei schmerzhaften Neuropathien kann auch Akupunktur lindernd wirken. Darauf deuten zumindest mehrere, eher kleine Studien hin.

TENS (Transkutane elektrische Nervenstimulation)

TENS auch als Reizstromtherapie bekannt, wird zur Behandlung schmerzhafter Polyneuropathien eingesetzt. Die Wirksamkeit von TENS hierfür ist allerdings bislang nicht bewiesen.

Was sonst noch hilft

Grundsätzlich ist alles hilfreich was Ihre Nerven in Fingern und Füßen stimuliert.

Wie wäre es verstärkt barfuß zu laufen und dabei zu versuchen Gras, Teppich oder Steinböden zu erspüren? Oder Sie probieren mit den Füßen ein Taschentuch zu greifen? Abends vor dem Fernseher könnten Sie einen Igelball kneten oder aber Sie gönnen sich ein Zucker-Olivenölpeeling, am besten zweimal täglich.

Das Zucker-Olivenölpeeling ist nicht nur gut für Ihre Nerven, es sorgt auch für streichelweiche Haut. So wird‘ s gemacht:

Man verreibt 2 TL Olivenöl und 1 TL Zucker auf der Hand. Mit dieser Mischung die betroffenen Hände und Füße ca fünf Minuten einreiben und vorsichtig massieren. Wichtig ist nicht nur die einzelnen Stellen mit Taubheitsgefühlen zu behandeln, sondern jeweils die ganze Hand, den ganzen Fuß. Danach die Mischung mit warmem Wasser und bei Bedarf mit Seife wieder abspülen. Achtung Rutschgefahr! Wegen der Ölrückstände sollten Sie die Wanne jeweils nach dem Zucker-Olivenölpeeling reinigen.

Mamazone Tipp: Beginnen Sie mit diesen Maßnahmen bereits mit dem Start der Chemotherapie, um der Entwicklung einer CIPN von Anfang an entgegenzutreten.

B-Vitamine einnehmen – nur manchmal eine gute Idee

B-Vitamine, insbesondere B6 und B12 aber auch Vitamin B1 gelten landläufig als „Nerven-Vitamine“. Besteht hier ein Mangel, kann auch das zu Polyneuropathien führen. Idealerweise sollten Sie daher versuchen diese Vitamine durch eine ausgewogene Ernährung in ausreichendem Umfang zu sich zu nehmen, damit Ihre Nerven nicht zusätzlich zur taxanhaltigen Chemotherapie auch noch durch einen B-Vitaminmangel belastet werden.

Falls ein Mangel an einem dieser Vitamine per Blutuntersuchung festgestellt wurde, sollte dieses Defizit gezielt durch die Zufuhr des entsprechenden Vitamins in Tablettenform oder als Infusion ausgeglichen werden.

Wichtig: Nehmen Sie nicht eigenmächtig B-Vitamintabletten zu sich. Überdosierungen können schädlich sein! Bei Vitamin B6 kann eine längerfristige Überdosierung sogar selbst Neuropathien verursachen.

Schmerz-Auslöser vermeiden

Wenn bei Ihnen Kälte oder Hitze Schmerzattacken auslösen, sollten Sie sich vor diesen Reizen schützen. Dicke Socken, warme Handschuhe und gutes Schuhwerk helfen gegen unerwünschte Kältereize. Mit guten Topflappen und einem Thermometer zum Überprüfen der Wassertemperatur lassen sich schmerzhafte Wärmereize vermeiden.

Blutzucker gut einstellen – möglichst wenig Alkohol trinken

Sofern Sie an Diabetis leiden, ist es auch im Hinblick auf Polyneuropathien wichtig, dass Sie auf einen optimal eingestellten Blutzucker achten. Alkohol ist leider eine neurotoxische Substanz, die Sie eher meiden sollten.

Medizinische Fußpflege nutzen

Wenn Sie unter Taubheit in Zehen oder Füßen leiden, bemerken Sie vielleicht Verletzungen an Zehen und Füßen nicht, was dann zu Infektionen führen kann. Deshalb kann es sinnvoll sein eine medizinische Fußpflege in Anspruch zu nehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Kosten hierfür. Lesen Sie hierzu gerne unseren Artikel Medizinische Fußpflege.

Weitere Informationen

Vorträge von unseren Diplompatientinnen-Kongressen (nur für Mitglieder freigeschaltet)

2023 "Gefühllos und kalt: Begriffe, die mit Polyneuropathien verbunden sind" von Dr. med. Jaqueline Sagasser
2019 "Die Kälte bringt's - Hilotherapie gegen Polyneurotherapie" den Dr. rer. nat. Trudi Schaper

Links

05 2022 "Polyneuropathie" auf der Seite Netdoktor
01 2018 "Neuropathie bei Krebspatienten: Beschwerden lindern" auf der Seite des Deutschen Krebsinformationsdienstes